Unter Stress im biologischen Sinn wird allgemein die Beanspruchung der Regelkreise eines Organismus durch innere oder äußere Reize verstanden. Dies gilt für den Hund gleichermaßen wie für den Menschen. Die als Stressoren bezeichneten Reize verändern oder stören das innere Gleichgewicht (Homöostase) des Organismus und erfordern von ihm eine Anpassungsreaktion. Diese kann kurz- (z.B. Fluchtreflex), mittel- (z.B. Blutdruck) oder langfristig (z.B. Körpergewicht) erfolgen.
Die meisten Menschen verbinden mit dem Wort Stress negative Einflüsse, wie z. B. zwischenmenschliche Konflikte oder Zeitdruck. Dieser sogenannte Disstress beschreibt einen unangenehmen Zustand, bei dem es der Person nicht vollständig gelingt, die Situation zu bewältigen. Disstress wird als Belastung empfunden und ruft Angst und Hilflosigkeit hervor. Im Gegensatz dazu gibt es auch positiven Stress (Eustress). Er wird als Herausforderung empfunden und motiviert zum aktiven, gestaltenden Handeln. In diesem Sinne werden die Begriffe auch für den Hund angewandt.
Stressreaktionen sind entwicklungsgeschichtlich alte, stereotyp im Körper ablaufende Aktivierungsmuster, die dem Organismus z.B. Energiereserven für unmittelbare Kampf- und Fluchtreaktionen („Fight or flight“) zur Verfügung stellen sollen. Über die vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol wird der gesamte Organismus in Alarmbereitschaft versetzt. Die Herzfrequenz und der Blutdruck steigen, die Atmung beschleunigt sich und aus den Energiespeichern der Leber, der Muskeln sowie des Fettgewebes wird Glukose freigesetzt. Die Muskulatur wird dadurch optimal mit Sauerstoff und Nährstoffen für eine körperliche Kampf- oder Fluchtreaktion versorgt. Funktionen, die nicht dem unmittelbaren Überleben dienen, werden in ihrer Aktivität herabgesetzt (z. B. Hemmung der Verdauungstätigkeit). Stressreaktionen sind somit lebenswichtig und ein natürlicher Verteidigungsmechanismus.
Dieser Vortrag behandelt die Physiologie der wichtigsten Distress- und Eustress-Regelkreise.
Unser Gehirn steuert nicht nur grundlegende physiologische Funktionen, sondern auch sehr komplexe Prozesse wie Denken, Fühlen und Handeln. Wie kreiert unser Gehirn - oder das unseres Hundes - aus z.B. sensorischer, kognitiver und hormoneller Information eine Entscheidung für eine bestimmte Handlung? Diese Frage lässt sich auch nach heutigem Wissen nur bedingt beantworten. Studien über Entwicklung und Plastizität des Gehirns, die Dynamik von Sensorik und Motorik oder das Zusammenspiel verschiedener Gehirngebiete und deren Funktion führen zu spannenden Erkenntnissen. Im Vortrag werden diese modernen Erkenntnisse zur neuronalen Steuerung von Verhalten dargestellt und unter unterschiedlichen Gesichtspunkten diskutiert.